Nichts zieht sich so durch meine Blogposts wie Berichte ueber die San Francisco Mietszene. Und ich habe heute darueber nachgedacht, warum das eigentlich so ist. So richtig weiss ich es nicht. Ich meine, ich habe bereits in pseudo-elitaeren (Hamburg Eppendorf) oder extrem hip / gentrifizierten (Berlin Mitte) Ecken gewohnt. Ich kenne die immer gleichen Gesichter derjenigen, die meinen, mit der Wahl des Wohnortes auch gleichzeitig ihre Identitaetskrise besiegt zu haben und jetzt endlich einer derjenigen zu sein, die sich als urbane und weltgewandte Elite sehen. Und das sie damit endlich die Gartenzwerge von Celle und grauen Mief von Wanne-Eickel ablegen. Und dann trifft man sich am Sonntag zum Brunch (unvergessen als ich mal in Berlin bei Papas Besuch am Samstag verzweifelt versucht habe, irgendein Restaurant zu finden, das nicht "vollkommen ausgebucht" war zum sonntaeglichen Brunch, ich habe bestimmt 10 Laeden angerufen), hat die gleichen Klamotten an, die gleichen Muster im Stoff, den gleichen Bart und 6h vor einem Schuhladen fuer den letzten Schrei Turnschuh (oder Sneaker, Trainer, whatever you want) gecampt der jetzt dann endlich auch in neon-rosa / waldgruen Kombination zu haben ist und limitiert auf 600 Laemmer. Und dann findet man sich gleichzeitig abgehoben von allen anderen wie zugehoerig zu allen anderen. San Francisco hat all das in Reinkultur. Was in Hamburg und Berlin der Agenturspacken ist/war, der bei miesestem Gehalt und 80h Wochen eigentlich nur noch ueber Parties reden kann weil fuer alles andere weder Zeit noch Geld da ist, das ist hier derjenige, der "in Tech" arbeitet. Also irgendwas mit Technik. Das meint in den wenigsten Faellen irgendetwas anfassbares, es meint IT, Computer, Applikationen schreiben und dabei moeglichst "disruptive" sein, also bestehendes zu erschuettern. Apple hat das gemacht indem man mit iTunes die Musikindustrie, mit dem iPhone die Mobiltelefonindustrie (und Mobilfunkanbieterindustrie - beim Scrabble waer das der Winner) umgekrempelt hat. Google hat das gemacht indem man die Suchmaschinenindustrie und letztlich auch die Verlagsindustrie umgekrempelt hat. Uber macht das mit dem Taxigewerbe. Mein neues Lieblingskind ist Sprig. Eine Firma die im San Francisco Stadtgebiet zwischen 10.00 und 16.00 jeweils 3 Gerichte zum Mittag anbietet und zwischen 16.00 und 22.00 jeweils 3 Gerichte zum Abendessen. Alles locally sourced, Zutaten also Bio und von lokalen Betrieben. Relativ gesund und nach der Maxime "ein Lieferessen anzubieten, dass man jeden Tag essen kann". So im Preisrahmen $10 - $13, also vergleichsweise guenstig. Und der Kracher, die sind im Schnitt 10-15 Minuten nach Bestellung vor der Tuer. Alles natuerlich via App auf dem Smartphone zu bestellen. Was hier lokal anfaengt, wird irgendwann den urbanen US Markt aufrollen und dann auch nach Europa ueberschwappen. Da bin ich von ueberzeugt. Und warum? Weil hier in San Francisco die Kohle dafuer ist. Und weil ebendieses - immer noch eigentlich im Kern ein Restaurant - Unternehmen ueber $6 Millionen eingesammelt hat von Investoren, um zu expandieren. Findet mal einen Laden der das kann. Crazy Croque sicher nicht und selbst deutschlandweite Firmen wie Smiley's oder Joey's Pizza haben mit so einer Finanzmacht am Ende dann Schwierigkeiten. So wie eben Uber kein kleiner Laden, sondern ein mit $40 Milliarden bewertetes Unternehmen ist. Dezent groesser als Yussuf's 3 Taxi Kleinstunternehmen also. Und im Kern hier in San Francisco entstanden expandieren die dann. Und Yussuf verliert, garantiert. Das muss nicht schlimm sein denn Uber wiederum bringt hier viele Leute in Arbeit. Viele Leute - Studenten, Rentner oder auch Vollzeitkraeft - verdienen gutes Geld damit, unter anderem mich von A nach B in ihrem Privatwagen zu fahren. Und die sind immer sauber. Immer gut in Schuss. Und meistens gibt es kleine Wasserflaschen als Gimmick, so dass ich trinken kann wenn ich mag. Und dann gibt es so Sachen wie UberPool. Da rechnet das Unternehmen aus und sagt "hey, du willst von A nach B und Susi will von C nach D aber das ist relativ nah beieinander, warum nehmt ihr nicht zusammen einen Wagen?". Dann steig ich ein, wir holen die unbekannte Susi ab und bringen dann entweder zuerst mich oder sie rum, je nachdem wie es Sinn macht. Und dafuer zahle ich in ganz San Francisco im Moment nicht mehr als $7. Taxi sind vielleicht $25 oder mehr, der Wagen ranzig, der Fahrer Indisch und spricht kein Englisch und ist dann sauer, wenn ich "nur" 18% Trinkgeld gebe. Interessierts mich dann, dass Uber ein Monopolist wird? Einer der eine Marktmacht hat, die sich gewaschen hat? Und dass sich hinter dem Modewort "disruptive" im wesentlichen das Abschoepfen eines Grossteils des in einer bestimmten Industrie verfuegbaren Geldes verbirgt? Am Abend nicht. Manchmal aber schon. Denn Uber schuettet einen Teil der Gewinne an die Angestellten aus. Und die sind im Schnitt 27. Und verdienen im Schnitt mehr als $150.000 im Jahr. Plus Beteiligungen. Und die wollen wohnen. Und die haben ausser "was ist die neuste distuptive Technologie" keine Gespraechsthemen mehr. Und die trifft man dann beim Brunch. Und denkt sich, ihr seid alle hochintelligente aber absolut langweilige gleichgeschaltete Sklaven des IT-Goldrausches. Damit hab ich den Kreis jetzt doch noch irgendwie geschlossen bekommen. Im Endeffekt ist mir hier zum ersten Mal bewusst, wie brutale und unregulierte Finanzkraft aus einer Hippiemetropole flaechendeckend eine Elitenmetropole macht. Und die Leute gehen in Scharen. Sie kommen in noch groesseren Scharen aber eben vollkommen andere Leute. Dagegen ist die Lange Reihe ein Witz. Und noch etwas wurmt mich hier: zum ersten Mal fuehle ich mich am verdraengten Ende. Ich bin nicht mehr der Hecht im Forellenteich sondern der Hecht im Haifischbecken. Wir koennen alle beissen aber die meisten irgendwie doller als ich. Kommt man auch drueber weg und so aber es ist neu. Nicht dass ich jetzt deswegen traurig bin, in vollem Bewusstsein dass ich San Francisco vermissen werde, freue ich mich auf die neue Wohnung. Und ich gehe mit lachenden Augen. Aber die offensichtliche Brutalitaet hier hat mir die lachenden Augen geoeffnet und wenn Augen zu lange offen sind, traenen sie eben. Metaphorisches Kung-Fu. Zu diesem Anlass habe ich einen Artikel in der Sueddeutschen gelesen:
http://www.sueddeutsche.de/leben/gentrifizierung-in-san-francisco-willkommen-in-der-hyperzivilisation-1.2528338
Der ist gut geschrieben und bringt es auf den Punkt.
Nach dem philosophischen Quartett jetzt noch etwas aus dem Leben: Wir sind auf Abschiedstournee und damit im "hey, was wir unbedingt noch machen wollten" Modus. Wir waren im Exploratorium, einem Technikmuseum, hatten viele Freunde zu Besuch und ueber Nacht (stressig aber schoen), Besuch aus Deutschland und haben neue Freunde gefunden. Ein Foto hab ich von einem Ausflug gen Norden ueber die Golden Gate Bridge:
und nach der Woche Deutschland, die jetzt ansteht (yay) geht auch volle Kraft die Umzugsvorbereitung los. Aber unterschrieben ist alles und wie gesagt, ich freue mich auf die Zukunft. Was auch immer die bringt.
In diesem Sinne bald entweder persoenlich oder sonst wieder hier :)
cheers
t
PS: jetzt hab ich doch wirklich vergessen, auf DAS Ereignis einzugehen, das hier durch alle Gazetten und Strassen geht. Puenktlich zur Schwulen-und-Lesben-Parade San Francisco Pride hat der amerikanische Supreme Court (also oberste Instanz der guten Justizia) entschieden, dass gleichgeschlechtliche Paare das gleiche Recht haben zu heiraten wie "traditionelle", wobei ich heute beim Durchgehen meines Freundeskreises gemerkt habe, dass traditionell garnicht mehr so traditionell ist. Und das wird am Wochenende ein Fest geben, auf dass ich mich freue. Aus ganzem Herzen. Denn ich kenne wirklich viele gleichgeschlechtliche (well, eher schwule) Paare, die schon lange zusammen sind. Und die es sich wuenschen, zu heiraten. Und ich glaube in meiner Generation ist es auch kaum noch eine ernsthafte Frage, dass das auch moeglich sein sollte. Und so war heute Facebook komplett positiv belegt, Menschen beglueckwuenschen sich und sind einfach erleichtert und froh. Und das sind dann eben die Beispiele, die ich mir auch gerne mal bei der Bewertung der USA wuenschen wuerde. Homosexuelle Paare aus Deutschland fliegen naemlich in die USA zum heiraten. Und ein Lieferdienst liefert guenstiges Bioessen in 15 Minuten. Das alles passt so nicht ins gaengige Bild des konservativen Waffenbesitzers und so ist es schoen, dass auch diese Beispiele mal deutlich werden. Falls irgendjemand unsicher ist, wie das Urteil das eigene Leben beeinflusst, gibt es einen praktischen Ratgeber:
http://www.cracked.com/quick-fixes/a-30-second-guide-to-how-gay-marriage-ruling-affects-you/